Druckgrafik

Arnulf Rainer bevorzugt die Kaltnadelradierung, da sie im Stande ist die verschiedenen Verdunklungsphasen seiner Überarbeitung zu verdeutlichen. Diese Technik zeigt die Nuancen des allmählichen Wachsenlassens, die Binnenstruktur der Schwarzflächen bleibt erhalten. Das, worum es Rainer beim Verdecken geht, nämlich Verfilzungen, Überlagerungen und der Wechsel zwischen gestrichenem, scharf gezogenem und schwarztonig Geschmiertem bleibt erhalten und für den Betrachter sichtbar. Zusätzlich ist die unterschiedliche Randgestaltung, entweder durch kompakten Zustrich oder Ausfaserung, mit dieser Technik umsetzbar. Man braucht Kraft die Nadel gegen den Widerstand des Metalls einzusetzen. Die Bewegung der Hand ist sichtbar und spürbar. Es entstehen lineare Bündelungen, Überkreuzungen, feine spinnwebenartige und sperrig ausfasernde Linien.

Genauso wie in seinen Überdeckungen, die ihn immer wieder zu neuen Pinselstrichen herausfordern, erlaubt ihm auch die Kaltnadelradierung eine kontinuierliche Weiterbearbeitung. Viele bereits bekratzte Platten verwendet Rainer wieder und wieder bis zur möglichen vollständigen Verdunkelung. Diese Entwicklung lässt sich besonders gut anhand seiner Kreuzradierungen nachverfolgen. Auch hier vollzieht sich die Verdunkelung schrittweise über mehrere Jahre hinweg, unterbrochen durch viele Zwischenstationen.

Die ersten Radierungen sind schwarz. Erst ab den sechziger Jahren kommt die Farbe hinzu und wird ein sehr wichtiges Gestaltungselement. Mit der Überarbeitung seiner Selbstportraits auf Zinkklischees oder Heliogravüre gelingt es Rainer in den siebziger Jahren die Möglichkeiten der Kaltnadelradierung noch mehr auszuweiten.

Ähnlich dem Prinzip der Übermalung entstehen meine Radierungen aus anderen, meist aber aus eigenen Platten. Diese schrittweise Bedeckung vollzieht sich langsam, über mehrere Jahre hinweg. In den vielen Zwischenstadien gibt es immer wieder nur einzelne Probedrucke. Meine ich, irgendwo festen Grund zu finden, entschließe ich mich zu einer Auflage. So haben auch diese Platten Stadien hinter sich (man würde sie bei einem Vergleich allerdings kaum erraten), wie Menschen und Insekten ihre Metamorphosen. Dieses langsame Auswachsen eines Werkes erlaubt die Kaltnadeltechnik, deshalb wird sie in meiner grafischen Arbeit immer wichtiger. Es ist wahrscheinlich, dass alle meine Platten einmal im Schwarz, d.h. in einer völligen Bekratzung enden, aber das ist ein weiter Weg, den ich täglich mühsam weiterkämpfe, da ich, in die Straße und nicht in das Ziel verliebt, absolut nichts überspringen will. … Arnulf Rainer 1970


(Text: Christa Armann)