Kreuze
Das Kreuz als Form, Zeichen und gestalterisches Prinzip erscheint in allen Schaffensphasen des Künstlers Arnulf Rainer. Es entwickelt eine Dynamik, die zu sicher unendlich scheinen wollenden Variationen über die Jahrzehnte, aber auch innerhalb bestimmter Schaffens-perioden führt.
So waren Kreuze schon in frühen Zeichnungen des Künstlers immer wieder auszumachen. Später übermalte der Rainer verschiedenste Motive, darunter auch Kreuze, die schließlich nicht mehr nur überdeckt wurden, sondern in ihrer äußeren Form als erkennbare Bildgegenstände hervortraten oder selbst zu Bildern, in Form von kreuzförmigen Rahmen, wurden. Anfangs präsentierten sie sich als monochrome Übermalungen, wie dichte Vorhänge. Auch innerhalb der zahllosen Foto- Überzeichnungen fand das Kreuz immer wieder Verwendung. Es behauptete sich als Gliederungsprinzip von Körper oder Gesicht, andererseits auch als Mittel, um den Bildraum zu erschließen. Später entstanden Kreuze mit übermalten Christusdarstellungen.
Die vielen Kreuze, die ich da in letzter Zeit fabriziert habe, kommen nicht aus einem hoffnungsfrohen Impetus, oder gar aus christlichem Bekenntnis und Missionsreife zustande, sondern aus einer permanenten inneren Verlegenheit, einer spirituellen Not und Dürre. Leere, kreative Scham, Motivationsmangel beherrschen mich. Wem die Melancholie wie ein dicker Teigpatzen im Genick liegt, findet manchmal Kraft zu allerlei Verrenkungen und Krümmungen, um sich freizuschütteln. Das meiste aber entstand nicht anders als die Gesten einer alten Frau, die sich immer wieder bekreuzigt, weil sie die große Not kommen sieht. … Arnulf Rainer 1984
Die Bilder markierten einen in Ohnmacht ausgetragenen verzweifelten Kampf gegen das Thema im Bild. Da waren schlammartige Farbfurchen, Handabdrücke, wilde Spritzer und Kleckse, ja Spuren von Gewalthaften Traktieren mit dem Messer und anderen scharfen, todbringenden Gegenständen zu sehen. Ganz entgegengesetzt zu diesen Werken erscheinen andere Kreuze, die eine gegensätzliche Atmosphäre von Ruhe und stiller Würde versprühen.
In den vielen von Rainer geschaffenen Kreuzen vereinen sich verschiedene Elemente seines Schaffens: Energetisches Bearbeiten, Blindzeichnen, Zumalen; Fingermalerei, Foto-Überzeichnung; das Einfühlen in menschliche Grenzsituationen, Eintauchen in die verdrängten Zonen des Lebendigen … Alle Techniken scheinen ins Kreuz zu laufen.
Das Kreuz an sich ist eine geometrische Formation. Aber in unserem Kulturraum ist es mit dem Martyrium Christi und heilsgeschichtlichen Vorstellungen, demzufolge auch fest mit der christlichen Kunst verbunden. Seine permanente Selbstbehauptung als anthropologisches Zeichen bezieht es darüber hinaus aus der Tatsache, dass es mit der menschlichen Gestalt selbst identifiziert wird. Im Kunstschaffen Arnulf Rainers war das Kreuz von Anfang an ein doppeldeutiges Zeichen.
(Text: Christa Armann)