Margareta Sandhofer - Kunstkritikerin
Vor etwa vier Jahren traf ich Gisela Stiegler das erste Mal. Es war zugleich die erste Begegnung mit ihren Skulpturen. Ich begleitete einen gemeinsamen Freund zu einem Atelierbesuch, in Giselas sogenannte Grauzone.
Gisela stand mit einem simplen Stanleymesser in der Hand vor einem Styroporblock, in den sie kantige Lamellen schnitt. Styroporbrösel waren an ihr und um sie, überall waren die statisch aufgeladenen Teilchen herum – wunderbar metaphorisch, denn signifikant: in einer hinterhältigen Beharrlichkeit und Bedeutsamkeit und nicht abzuschütteln.
Vielleicht ist diese Doppeldeutigkeit oder Vieldeutigkeit das markante Charakteristikum, das Giselas Person und ihre Arbeit atmosphärisch umgibt – was sowohl ihre theoretischen Reflexionen wie ihre manifesten Artefakte zum Ausdruck bringen, die sich auch gegenseitig in einem dialogischen Verhältnis fordern und vorwärtstreiben.
Gisela verteilte diese Styroporbrösel mit raumgreifender Gestik und sehr bewegten Worten im Raum – versprühte mit einer offenen Direktheit ihre Statements, ihre sehr persönlichen Bemerkungen zur Kunstszene Wiens, den Protagonisten, den Rezipienten und den begleitenden Umständen, sehr emotional, dabei analytisch, selbstreflexiv und dankbar für jede Erwiderung.
Es war der Beginn einer wertvollen Freundschaft.
Diese geschnitzten und gekerbten Styroporkörper im Raum, am Boden und an den Wänden übten eine seltsame Anziehung auf mich aus: rhythmisch strukturierte abstrahierte Gebilde, wie gebaut für das All – sehr fremd und eigenartig, vor allem in ihrem Kleid aus Autolack in Blau-Metallic (ein Speziallack für Maserati). Diese Schöpfungen waren von einer Art beherrschtem Minimalismus, der einem Achtung einflößte, obwohl diese nicht verdient erschien bzw. diese keinesfalls eingefordert war. Diese eigentümlichen Styroporschnitzereien genügten sich in ihrem souveränen Solipsismus vollkommen selbst.
Diese Skulpturen gründen in der Schwarzweißfotografie, die vor allem als Stillleben bis etwa 2005 Giselas nähest liegendes künstlerisches Medium war. Aus der fotografischen Tätigkeit verselbständigten sich sukzessive anfängliche Nebenprodukte oder Nebenbedingungen: Das Motiv des fotografierten Stilllebens, z.B. ein abgenagtes Knochenstück, zuvor noch der Protagonist im Fokus, wurde isoliert von seinem manierierten Hintergrund behandelt.
Das separierte Knochenstück wurde bei bewusster Überbelichtung und anschließender Unterentwicklung ohne weitere Verankerung im Raum vor weißem Grund präsentiert, als paradoxe Skulptur schwebt es zusammenhanglos wie ein UFO im Nichts.
Der Hintergrund, selbst schon Schein und Trug mit dem spielerischen Kippeffekt zwischen Zwei- und Dreidimensionalität in der perspektivischen Verkürzung des Würfelmusters, wurde von Gisela weiter manipuliert: sie stellte solche gemalte Flächen in verschiedenen Winkeln aneinander und addierte die gespiegelten und verzerrten Ebenen im analog fotografierten Abbild. Mitunter wurde diese Fotografie wieder mit dem flachen schwarzen Schattenwurf eines Würfels unterlegt an eine Ausstellungswand montiert und somit jede Illusion unterlaufen, allerdings auch jede herkömmliche Raumwahrnehmung destabilisiert und relativiert. Raum und Fläche als dialektisches, sich widersprechendes und daher hochschaukelndes Prinzip kehren im Werk Gisela Stieglers immer wieder.
Der Hintergrund gewann zunehmend an objekthafter Relevanz und wurde verstärkt in Szene gesetzt: Gisela kombinierte Styroporflächen mit verschiedenen Strukturen und Oberflächen zu konstruktivistischen Kompositionen für ihre Fotos. Sie begann Kerben in die Styroporquader zu schnitzen und mit unterschiedlichen Glanzstufen und Beleuchtungen zu fotografieren. Das Styropor behauptete sich in ihrem Schaffen immer mehr, bald wurde das fotografische Abbild obsolet. Der ursprüngliche Hintergrund war zum autarken Protagonisten avanciert. Das Material Styropor scheint sich über physische Grenzen hinwegzusetzen und an deren Stelle optisches Gewicht mit tatsächlicher Leichtigkeit, Abbild mit Trugbild gleichzusetzen. Diese irreguläre Freiheit der Evidenz erlaubte Auswüchse zur Opulenz.
Die Reliefs eroberten zunehmend den Raum und standen sehr bald als mannshohe Skulpturen mitten in der Grauzone.
Ambivalent gibt sich auch die Ikonographie vieler Arbeiten. Ihre Gestalt kokettiert mit der nihilistischen Eleganz des minimalistischen Kunststücks, mit dem Design und der vermeintlichen Utilität eines Möbels, mit der getäuschten Funktionalität eines architektonischen Versatzstücks – und bekennt sich zu nichts. Außer zu einer unvergleichlichen Selbstverständlichkeit, einer unwiderlegbaren Beiläufigkeit, die als souveräne Haltung dieser Unentschiedenheit des eigenen Kunstanspruchs offensiv entgegensteht.
Gisela Stiegler realisiert einen eigenartigen unklassischen Skulpturenbegriff, der stark von ihrem fotografischen Denken geprägt ist. Das Volumen gilt als in Flächen aufgesplittert und präsentiert sich mit einer Flächenansicht, einer Vorder-, einer Rückenansicht und einer Vielzahl an Viertelprofilen.
Äquivalent streben die großen monochromen schwarzen Folienbilder nach Haptik. Das Bauschen und die knittrigen Unregelmäßigkeiten der Oberfläche, das Spiel der unterschiedlich gebrochenen Lichtreflektionen verleihen den Bildern subtile Körperlichkeit. Zugleich holen sie die früheren Bleistiftzeichnungen mit einer neuen Komplexität wieder ein.
Die Skulpturen sind weniger Volumina in originärer Ursprünglichkeit, sondern vielmehr verdichtete Ansichten, die sich in der Skulptur konkretisieren. Die Genese der in den Raum gewachsenen Fläche scheint ihnen als permanentes Charakteristikum eingeschrieben. Die Oberfläche ist in Flächenstücken organisiert, die von wie Lamellen zu einzelnen Teilflächen gebündelten Kerben strukturiert sind. Selbst im Detail begegnet die Fläche: Die Kerben sind selbst nichts anderes als einander zugeneigte Ebenen, die orchestral das Licht einfangen oder zurückwerfen.
Es ist die Metamorphose einer Fläche zum objekthaften Körper – Plastik gewordene Ebene, die sich immer wieder umwendet zu ihrem Ursprung oder ihren Vorstufen. Hintergründig hegt jede von Giselas Figuren eine Begehrlichkeit nach der Fläche.
Und hier kompliziert ein zusätzlicher Drang die Befindlichkeit der subjektivierten Skulptur: Ein beharrlicher Hang zur minimalistischen Form und gleichzeitiges stetiges Widersetzen dieser Verführung spielt sich in den Skulpturen ab. Diese formalistische Dialektik ist nur subtil spürbar, die Problematik bricht in einer brachialen Ästhetik auf: grobe Brüche, grobschlächtige Formen, harsche Kanten und Kerben, Vermeidung von Farbigkeit. Rundungen sind, wenn überhaupt vorhanden, dann keineswegs von schmeichelnder Sanftheit, sondern ironisierender Gegenschlag gegen eine Dominanz des Minimalismus. Triviale Assoziationen sind als Argumente gegen jede avantgardistische Gestik des Reduktionismus durchaus provoziert. Die Farbe wird nicht als gestaltendes Mittel, sondern rein funktional als Signal eingesetzt: Schwarz als Nicht-Farbe, Weiß als alles beinhaltende Farbe, Blau-Metallic wegen seiner abstrakten dynamisierenden Künstlichkeit.
Die direkte Begegnung mit den bizarren Gebilden verunsichert. Sie fordern in aparter Ungekünsteltheit unmittelbare Auseinandersetzung – im Dazwischen, in einer Grauzone, wenn ein Kunstwerk den Geltungsbereich anderer Kategorien anstreift, etwa den von Design-, Möbel- oder Gebrauchsgegenstand, um ihn auch gleich wieder heftig von sich zu weisen; in der komplexen Bedingtheit von Fläche und Raum; in der dialektischen Widersprüchlichkeit des stets gekonterten Minimalismus; in dieser subversiven Komplexität, der manchmal ironischen, manchmal spitzbübischen Doppelbödigkeit gründet die beharrliche Irritation und Faszination.